November 2021 - Jahnaischer Hof



Jahresendausstellung im Jahnaischen Hof

Kunstspuren Radebeul

 

Kunstspuren – … die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist eine Geschichte – von Kunst – Spuren. Wo auch immer nämlich ein Mensch in den vergangenen Jahrhundertausenden Spuren hinterlassen hat, zeugen sie von Kunst, denn Kunst ist eine wesentliche Erscheinungsform menschlichen Daseins. Das heißt nichts anderes, als daß die Menschwerdung ohne den Willen und die Fähigkeit zur Kunst ins Leere gelaufen wäre.

Freilich geht es heute nicht um Anthropogenese, es geht auch nicht um Altamira oder Lascaux mit den berühmten Höhlenbildern, es geht um unseren Alltag. Und hier, in unserem Alltag machen seit gut fünf Jahren die Radebeuler Kunstspuren von sich reden. Das ist eine lockere Gemeinschaft bildender Künstler, die gemeinsam bewegen, was einer oder eine allein so nicht bewegen könnte: gemeinsame Ausstellungen, Tage der offenen Ateliers, gemeinsame Werbung, gemeinsame Freude an der Kunst. Die Ewigfindende Menschenfreundin Silvia Ibach liebt nicht nur kräftige Farben, besonders zur Zeit ein schönes Karminrot, sie hat auch als ehemalige Werbefachfrau die Initiative ergriffen und die Idee aufgebracht. Wer, wie ich, diesseits des eisernen Vorhanges groß geworden ist, wird sich erinnern: Die Idee wird zur materiellen Gewalt, wenn sie die Massen ergreift. (Es macht nach so vielen Jahren manchmal richtig Spaß, Karl Marx zu zitieren).

Die Massen halten sich hier natürlich in Grenzen: Es hat sich ein Stamm von inzwischen vierzehn Künstlerinnen und Künstlern zusammengefunden, die nun nicht mehr nur aus Radebeul, sondern auch aus Dresden, Meißen, Gauernitz oder Batzdorf kommen. Sie alle eint die Liebe zur Kunst und die Hoffnung, mit der Kunst und durch sie der Spur von ihren Erdentagen ein wenig Geltung zu verschaffen. An Äonen denkt da freilich niemand – sie alle sind froh, wenn sie zu Lebzeiten wahrgenommen werden. Das zu erreichen ist schon schwer genug. Obwohl nämlich die Kunst, wie oben angedeutet, originärer Ausdruck menschlichen Seins ist, gilt sie heute vielfach als nicht systemrelevant und steht unter stetigem Legitimationsdruck.

Wenn dann auch noch der Weinböhlaer Maler Uwe Beyer seine eigene wie die Kunst überhaupt als unreglementierbar und immer in Bewegung bezeichnet, klingt das in unseren Tagen geradezu revolutionär, ja subversiv, wird doch gegenwärtig sogar der Gaststättenbesuch reglementiert und der Impfausweis wichtiger als der Reisepaß.

In diesem Sinne ist es gut und wichtig, daß und wie Sophie Cau das Leuchten des Meeres von ihrer Heimat am Atlantik mit nach hierher gebracht hat. Damit liegt neben Böhmen nun auch Sachsen am Meer. Auf ganz eigene Weise läßt uns Sophie mit ihrem unwiderstehlichen BLEU teilhaben an Weltläufigkeit und Freiheit.

Weltläufig und offen zeigt sich auch Gabriele Kreibich, die sich auf langen Wanderungen in den abgelegensten Ecken des Erdballs von den Rhythmen der jeweiligen Landschaften ergreifen läßt. Ihre meist grafisch angelegten Arbeiten legen davon beredtes Zeugnis ab.

Bettina Zimmermann sieht ebenfalls in der tiefen Verbindung zur Natur eine wichtige Quelle der Inspiration. In der zauberhaften Umgebung von Schloß Batzdorf braucht sie danach nicht lange zu suchen.

Klaus Liebscher komponiert mit Farben Linien und Flächen, die sich zum Bild verdichten. Im Malen sieht er einen Prozeß. Unter Verzicht auf erzählerische Momente vertraut er ganz auf die Essenz der Farben.

Für Andre Uhlig steht das grafische Experiment mit alternativen Materialien im Vordergrund. Das Sujet, das freilich immer erkennbar bleibt, ist ihm eher Anlaß als Gegenstand.

Hier trifft er sich mit Anita Rempe, die ihrerseits den künstlerischen Ausdruck ins Zentrum stellt; ihr ist das Wie wichtiger als das Was. Dabei läßt sie sich ebenso intensiv von ihren Eindrücken tragen, wie Anita Voigt, die der Hand als Seismograf die Führung überläßt, vom Erlebnis zum Bild zu gelangen.

Hier ist dann auch Ralf Uhlig zu finden, der im Aquarell naß in naß seine ganz eigene Darstellungsweise gefunden hat.

Im Erleben der Umwelt schließlich begegnet Peter Pit Müller vor allem sich selbst. Und er ist jedes Mal wieder überrascht.

Für Irene Wieland kommt zusätzlich die Welterfahrung ins Spiel, mythologische Gestalten in ganz eigener Farbigkeit vermitteln zwischen Phantasie und Zeitbezug.

Die analogen Fotografien von Gabriele Seitz sind von einem malerischen Geist getragen und spiegeln so das innere Sein der Fotografin.

Sylvia Fenk schließlich gehört nicht nur zur Gruppe dazu, sie ist auch Gastgeberin dieser Ausstellung. Als Künstlerin ist sie mit Vorliebe grafisch unterwegs, und das im wahrsten Sinne des Wortes.

Wann immer sie durch die Landschaft fährt, hat sie stets ein paar ihrer großformatigen Plexiglas-Platten im Kofferraum, die sie vor Ort mit der (besonders im Winter) kalten Nadel bearbeitet. Sylvia hat Modedesign, Kostüm- und Bühnenbild studiert und arbeitet seit nunmehr zwanzig Jahren freischaffend. 2011 begründete sie hier im Jahnaischen Adelsfreihof ihre Produzentengalerie.

Seither wechseln Ausstellungen ihrer eigenen meist grafischen und textilkünsterischen Arbeiten, kombiniert mit Malerei von Gerrit Höfig, mit jährlich zwei Gastausstellungen, wie eben nun der der Kunstspuren. Parallel gibt es Konzerte und Lesungen. In der Sommerwerkstatt bietet Sylvia Kindern und Jugendlichen vielfältige Anregungen zur Pflege der eigenen Kreativität. Die Räumlichkeiten, die erkennbar den Charme der Renaissance atmen, bilden einen idealen Rahmen für ihre Kurse in Textilkunst, Druckgrafik, oder Aktzeichnen: ein anregendes Rundumprogramm anspruchsvoller Kunsterlebnisse.

 

Nun können sich also für sieben lange Wochen die Kunstspuren Radebeul in diesen schönen Räumen wohlfühlen. Der Sinn des Miteinander und Füreinander zeigt sich hier besonders augenfällig.

Während der Ausstellung ist ein Konzert geplant mit Tilo Schiemenz - Gesang, Konrad Möhwald - Harmonium, Matthias Weißbach - Violine

Und zwar am 11. Dezember, dem Vorabend des dritten Advent um 19.30 Uhr.

Am 8. Januar gibt es ebenfalls um 19.30 Uhr einen Ausklang mit surrealen Klangwelten von Markus „albinoni“ Kliesch – sphärische Trompetenklänge werden da versprochen, die möglicherweise eine Antwort geben auf die Frage „was soll es bedeuten“.

 

Heinrich Heine wußte es nicht, ich weiß es auch nicht, doch ich wünsche der Ausstellung gerade jetzt in der Vorweihnachtszeit jeden nur möglichen Erfolg.

 

Thomas Gerlach, Nov. 2021